Rheinische Post von 1950

Erfindergeist sprengt alle Schranken

Eine Sensation, die keine sein will: Steuerbarer Metall-Fallschirm mit und ohne Motor

Düsseldorf (F.ig.Ber.) Vielleicht wird sie auch gar keine Sensation, die revolutionäre Erfindung eine steuerbaren Metall-Fallschirms mit und ohne Motor, den der seit über zwanzig Jahren in Düssel­dorf beheimatete Elektrotechniker Willi Weihrauch nach jahrelangen wissentschaftliehen Vor­arbeiten konstruierte. Vielleicht nimmt man sie hin, wie die Welt nach den Gewaltigen Sprüngen, die unser technisches Zeitalter machte, daran gewöhnte, die umwälzenden Dinge als selbstverständ­lich zu betrachten: das Dampfschiff und die Diesellokomotive, die Monxxxxx und das Düsenflig-zeug, die drahtlose Telegrafi und das Radio. Vielleicht auch teilt Willi Weihrauch das Los vieler Erfinder, als heilloser Phantast zu gelten, dessen ..Marotten" bestenfalls belächelt werden - doch dafür scheinen die Dinge bereits zu weit gediehen zu sein. Wir sahen die amerikanische Aufforderung an Weihrauch, den Erfindereid zu leisten, wir lasen einen 10-Jahresvertrag einer international be­kannten deutschen Firma, wir wissen von einem sechsziffrigen Dollardepot und der Bewerbung meh­rerer europäischer und überseeischer Interessenten um diese Flugtechnisch großartige Neuerung, die bereits Anfang 1945 in streng gehe im gehauenen Zwangs versuchen des damaligem Gistapohäftlings hohen deutschen Wehrmachtskreisen nahe der Festung Königsstein in Sachsen praktisch vorgeführt und mit hervorragenden Urteilen ausgezeichnet wurde.

Bis zum 14.Lebensjahr besuchte der nun 45jährige Erfinder eine Wilhelmshavener Knabenschule. an der er schon kleinere Motoren und Elektrisiermaschinen baute, wanderte danach mit den Ange­hörigen nach Brasilien aus. kehrte jedoch schon um 1925 in die Heimat zurück, um auf Wunsch des Vaters eine ausgedehnte Elektromechaniker-Lehre durchzumachen. Nach kurzer Volontärzeil und Vier Semester auf der Technischen Hochschule führte er bei bedeutenden westdeutschen Messgeräte-Firmen Verbesserungen an Spezial-Meßgeräten aus. Allmälich wechselte Weihrauch auf das Gebiet der reinen Flugzeugtechnik über, und die geniale Idee des steuerbarn Metall-Fallschirms ließ ihn nicht mehr ruhen. Im Gegensatz zu dem bisher verwendeten Seiden-Fallschirm mit der erheblichen Durchschnitts-Fallgeschwindigkeit von 5,5 bis 3.9 m/sek. dem 3-Sekunden-Sturz in die Tiefe vor Öffnen des schirms der starken Windabhängig­keit und den Landegeschwindigkeiten weist sein Metallgerät mannigfache Vorzüge auf. Es ist aus Duraluminium, einer leichten und festen Aluminium- Kupfer Legierung hergestellt, wird gleichfalls auf dem Rücken befestigt und entfalltet sich sofort nach Verlassen des Flugzeuges, wobei das Gewicht von 12 Kg ( ohne Motor ) und 18 Kg ( mit Motor ) gegenüber dem altüblichen Schirm mit etwa xxKg keinerlei Komplikationen verursacht. Das neue Gerät ist vollkommen unabhängig von der Windricht­ung. Xxx - ist auch die Sinkgeschwindigkeit bis 0,9 m/sek (!) - also bis ins leichte Schweben- bei einem durchschnittlichem Körpergewicht von lOOKg steuerbar. Nach fast fünfjähriger Versuchszeit gelang es dem Erfinder in seine Fallschirmapparatur, die auf vollaerodynamischen Prinzipien beruht und einen Entfalltungsdurchmesser von nur 2.20 m hat, einen seihst umkonstruierten 125-ccm- Motor mit besonderen technichen Einrichtungen einzubauen. Mit Hilfe des Motors vermag der Abspringende vom Landepunkt wieder beliebig hoch aufzusteigen und mit 2,5 Liter Betriebsstoff einen einwandfreien Aktionsradius von ca. 150 Km zu erreichen. Man kann sich lebhaft vorstellen, welch ungeheuren Fortschritt dies in der Entwicklung der Luftfahrt bedeutet. Im Augenblick müssen allerdings die technischen Einzelheiten, u.a. der Sitz von Motor und Antriebseinrichtung der Öffentlichkeit aus Patentgriindcn noch vorenthalten werden.

General Schörner : „Kriegsentscheident"

Wegen antifachistischer Einstellung wurde Weihrauch im Herbst 1943 verhaftet und später ins KZ-Lager Nildasberg nahe der Festung Königsstein in Sachsen eingeliefert. Bei Haussuchungen, denen sich die Frau des Häftlings mit Ihren beiden Kindern durch Flucht in ihre süddeutsche Heimat entzog gerieten der Gistapo Papiere über den Metall fall schirm in die Hände Anfang 1945 wurde Wiehrauch gezwungen, unter polizeilicher Aufsicht ein Mustergerät herzustellen, das er einige Wochen später hohen Wehrmachts-Fachkreisen auf dem nahen Fluggelände geheim vorführen musste. Glänzend gelungene Probesprünge aus einer mit 6OOKm/h Geschwindigkeit fliegenden Me 109 aus 60, 600 und 2000 m Höhe mit dem motorlosen Schirm erzeugten eine sensation­elle Wirkung, die den damaligen Oberbefehlshaber des Gebietes, General Schörner, das Agregat als „hervoragend und kriegsentscheidend" beurteilen ließ. Die Entscheidung war bereits gefallen, und der Häftling hatte durch den großartigen Versuch sein Leben retten können. Die Frage ist wohl berechtig!, warum der Düsseldorfer mit der verblüffenden Flugapparatur, die schon Tausenden von Menschen hätte das Leben retten können, nicht früher an die Öffentlichkeit getreten ist. Einmal hemmte ihn die anhaltende wirtschaftliche Notlage, zum anderen die alleierten Militärverord­nungen, die Deutschland seit Kriegsende in Flugtechnischer Hinsicht gänzlich von der Weltentwickhmj; abschnitten. Infolge der zahlreichen diesjährigen Flugzeugkatastrophen hat sich der Erfinder, da unsere friedliche Zivil-Luftfahrt doch vorerst nicht xbeiriebenx werden darf, über eine bekannte Stuttgarter Exportfirma mit dem Ausland in Verbindung gesetzt und wird - sobald das Einreise Visum eintrifft nach den USA fliegen, um dort selbst nach Ableistung des Erfindereides Vorführungen zu zeigen und die Anfangsproduktion der Serienschinne zu überwachen. Nach Anlaufen der Fertigung wird Weihrauch nach Deutschland zurückkehren, um hier Fabrikationsstatten für Spezial-Messgeräte aufzubauen.

Draußen vor Weihrauchs Werkstatt und Radiohandlung hat der Raureiff den Himbersträuchern und Gartenzäunen glitzende Sterne aufgesetzt. Es scheint fast, als habe sich alle Kälte der Erde auf diesen Randbezirk der großen Stadt konzentriert. Das kleine Büro ist unbeheizt und den Erfinder schüttelt der Frost. Doch eben sind ein paar Zentner Kohlen angekommen. Ihr Anblick allein lässt einem das Herz warm werden. Eben auch noch war die Rede von der Patentniederschrift und von einer 5000-Dollar-Gebühr, die der Spaß kostet. Eben empfanden wir das lebhaft geschilderte Gefühl nach, bei 600 km/h Geschwindigkeit vom Luftdruck erfasst und „beinahe wie eine Wurst in Scheiben geschnitten" zu werden, da stellt eine nichts sagende alltägliche Frage den Erfinder robust auf die Erde: „Du, Willi. kostet eine Rohrschelle zwei oder drei Pfennig?" Den Alltag jedenfalls teilt Willi Weihrauch mit allen Erfindern zu allen Zeiten der Menschheit.